Der Zwang zur Freiheit

Das Kopftuchverbot im Kindergarten – Analyse und Ausblick

Im Mai 2017 bringt der damalige FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache mit anderen Abgeordneten am Rande des Beschlusses des Anti-Gesichtsverhüllungsgesetzes (AGesVG) einen Entschließungsantrag° im Parlament ein: Der Nationalrat soll die Bundesregierung auffordern, einen weitergehenden Gesetzesvorschlag auszuformulieren. In dem Antrag ist von einem „Maßnahmenbündel zur Verteidigung unserer Heimat“1858/UEA BlgNR 25. GP 1. und einer „islamistische[n] Bedrohung“ die Rede, die von „Terror bis zur Zurschaustellung religiöser Symbole reicht“2858/UEA BlgNR 25. GP 1.. Die Forderung daher: ein Verbot von Kopftüchern „als Ausdruck muslimischen Glaubens“ in Kindergärten, Schulen, Universitäten und im öffentlichen Dienst.3858/UEA BlgNR 25. GP 1

Es sollte noch über ein Jahr dauern, bis diese Forderung teilweise verwirklicht wird. Das Kopftuchverbot im Kindergarten wird am 21.11.2018 durch die Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG° über die Elementarpädagogik für die Kindergartenjahre 2018/19 bis 2021/22 ohne Gegenstimmen der Opposition im Nationalrat beschlossen.4Sten Prot 49/NRSITZ 26.GP.

Das Verbot ist ein weiterer Punkt auf einer gesetzgeberischen Agenda, die sich gegen die religiöse Bekleidung von Musliminnen richtet. Legistischer Startpunkt dafür war das anfangs erwähnte AGesVG5Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit BGBl I 2017/68. („Burkaverbot“), das nach einer Regierungsvorlage der damaligen SPÖ-ÖVP-Koalition beschlossen wurde.6485/BNR BlgNR 25. GP. Grundrechtliche Fragestellungen wischte man damals schnell vom Tisch, wurde das österreichische Gesetz doch akribisch einer französischen Regelung nachgebildet, die schon beim EGMR rechtlich bestätigt worden war.7EGMR 1.7.2014 (GK), 43835/11, S.A.S./Frankreich; Alvarado-Dupuy, Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz: Zwang zur Entschleierung, juridikum 2017/2, 152 (152).

Nun beginnt die Regierung auch das Kopftuch sukzessive aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Und es scheint weite Zustimmung dafür zu geben. Laut einer von Profil in Auftrag gegebenen Studie, sind fast 80% der Österreicher*innen für das Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen.8Red., Umfrage: Sehr deutliche Mehrheit für Kopftuchverbot, https://www.profil.at/oesterreich/umfrage-mehrheit-kopftuchverbot-10484615 (Stand 24.11.2018). NB: Methode: Online-Befragung, Zielgruppe: Österreichische Bevölkerung ab 16 Jahren, Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: +/- 4,4 Prozentpunkte, Sample: n=500 Befragte, Feldarbeit: 19. bis 23. November 2018. Wie viele Mädchen im Kindergarten- oder Volksschulalter tatsächlich Kopftuch tragen, ist dabei wohl zweitrangig. So bestätigte der FPÖ-Abgeordnete Wendelin Mölzer im Parlament den Vorwurf, dass das Thema keine empirische Relevanz habe, und dass es sich um eine symbolische Frage handle, nicht ohne hinzuzufügen, dass dies eine positive Wirkkraft nicht ausschließe.9Sten Prot 49/NRSITZ 26. GP.

In Art 3 Abs 1 der erwähnten 15a-Vereinbarung° wird definiert, wie den Kindern „die grundlegenden Werte der österreichischen Gesellschaft zu vermitteln“ sind. In diesen Rahmen fällt auch das Kopftuchverbot: „Um die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Kinder sicherzustellen, ist in elementaren Bildungseinrichtungen Kindern das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung zu verbieten, die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist.“10„Das Verbot des Tragens weltanschaulicher und religiös geprägter Bekleidung bezieht sich lediglich auf Bekleidung, welche das gesamte Haupthaar oder große Teile dessen verhüllt.“ ErläutRV 331 BlgNR 26. GP 4. In den Erläuterungen rechtfertigt die Regierung das Verbot so, dass das Tragen eines Kopftuchs zu einer „frühzeitigen geschlechtlichen Segregation führe[], welche mit den österreichischen Grundwerten und gesellschaftlichen Normen nicht vereinbar“11ErläutRV 331 BlgNR 26. GP 4f. sei.

Unklar ist dabei nicht nur, welche Werte schützenswert sein sollen, sondern ebenso die Vereinbarkeit mit den Grundrechten. Dass es handfeste rechtliche Bedenken gibt, zeigen die Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren: Die Österreichische Bischofskonferenz weist etwa auf ein widersprüchliches Handeln der Regierung hin: Denn „erst kürzlich mithilfe des 2. Bundesrechtsbereinigungsgesetzes“ wurde beschlossen, „Regelungen ohne Anwendungsbereich“ aufzuheben, wonach solche schon gar nicht erst erlassen werden sollten. Außerdem sieht die Bischofskonferenz klare Grundrechtsprobleme: „Das anvisierte Verbot stellt einen Eingriff in die Religionsfreiheit (vgl Art 9 EMRK [Anm: Europäische Menschenrechtskonvention]) und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (vgl Art 8 EMRK) der betroffenen Kinder und ihrer Eltern, sowie in das Erziehungsrecht der Eltern (vgl Art 2 1. ZPEMRK [Anm: 1. Zusatzprotokoll zur EMRK]) dar.“12Stellungnahme der Bischofskonferenz (24/SN-79/ME 26. GP) 2.

Was ist dazu zu sagen? Art 9 EMRK umfasst das Recht auf Religionsfreiheit unter anderem die Beachtung religiöser Gebräuche, wozu auch das Tragen eines Kopftuches zählt. In dieses Recht darf nur eingegriffen werden, wenn dies zur Wahrung bestimmter öffentlicher Interessen (hier etwa die öffentliche Ordnung oder die Rechte und Freiheiten anderer) in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Fraglich ist aber, ob Mädchen im Kindergartenalter bereits derart bewusst ihre Religion ausüben, sprich ob sie bereits Grundrechtsmündigkeit besitzen.13Berka, Verfassungsrecht7 (2018), Rz 1232ff. Passender ist wohl Art 2 des 1. ZPEMRK, wonach Eltern das Recht der Erziehung ihrer Kinder zusteht und der Staat dies in seinen Bildungseinrichtungen zu achten hat, besonders auch bezüglich deren religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen. Diese staatliche Verpflichtung, die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern zu achten, muss wiederum im Lichte von Art 9 EMRK betrachtet werden. Auch im Bereich der schulischen Erziehung liegt es damit in der Verantwortung des Staates, die wechselseitige – gerade auch religiöse – Toleranz zwischen widerstreitenden Gruppen zu gewährleisten.14EGMR 18.03.2011, 30814/06, Lautsi/Italien, 60.

Zwar mag es damit für den Staat ein durchaus legitimes Ziel darstellen, „das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung zu verbieten”, um – wie es in den Erläuterungen heißt – die Grundwerte von Bildungseinrichtungen, insb auch die „Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen”15ErläutRV 331 BlgNR 26. GP 4; Art 14 Abs 5a B-VG BGBl 1930/1 idF BGBl I 2018/22., zu vermitteln. Im Sinne einer konsequenten Trennung von Religion und Staat könnte man dieses Ziel verfolgen und damit eine Maßnahme wie das Kopftuchverbot in Schulen rechtfertigen. Um religiöse Toleranz sicherzustellen, müssten dann allerdings alle Religionen gleichermaßen betroffen sein. So hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dem Österreich als Mitglieder des Europarates unterworfen ist, Kopftuchverbote in den Fällen Köse ua/Türkei16EGMR 24.01.2006, 26625/02, Köse ua/Türkei. sowie Dogru/Frankreich17EGMR 04.03.2009, 27058/05, Dogru/Frankreich. bestätigt. In der Begründung hob der Gerichtshof aber ausdrücklich das in der Verfassung in den jeweiligen Ländern verankerte Prinzip des Säkularismus hervor, also der strikten Trennung von Religion und Staat.18EGMR 04.03.2009, 27058/05, Dogru/Frankreich, 72.

Gerade diese Trennung ist in Österreich aber nicht gegeben. Das traditionelle Kreuz etwa ist in Kindergärten und Klassenzimmern omnipräsent, was sogar vom VfGH als verfassungskonform bestätigt wurde,19VfSlg 19.349/2011, V.2.4.2. und Religionsunterricht ist als Pflichtgegenstand gesetzlich verankert.20§ 1 Religionsunterrichtsgesetz, BGBl 1949/190 idF BGBl 2017/138. Die Bundesregierung will Säkularismus nur für eine Religion gelten lassen: den Islam. Damit sind wir im Bereich des Art 14 EMRK, dem Diskriminierungsverbot. Dieses besagt: Wenn das EMRK-Grundrecht einer Gruppe berührt wird und jenes einer anderen nicht, so muss dies sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Das Kopftuchverbot knüpft trotz vermeintlich neutraler Formulierung unmittelbar an geschützte Merkmale an, weil ein Verbot der „Verhüllung des Hauptes” vor allem Personen muslimischen Glaubens trifft. Dass gerade das Kopftuch verbannt werden müsste, ist nicht rechtfertigbar, die Regierung flüchtet sich wohl auch daher in Scheinargumente. So ist die Kippa von dem Verbot ausgenommen, weil sie laut FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz für die Religionsausübung notwendig sei und keine Geschlechtsreife signalisiere.21Vgl. NN, Koalition will Kopftuch und Turban an Volksschule verbieten, https://derstandard.at/2000092004189/Koalition-will-Kopftuch-und-Turban-an-Volksschule-verbieten (abgefragt am 07.12.2018).

In Anbetracht derart fadenscheiniger Vorbringen kann die Diskriminierung in Form des Kopftuchverbotes nicht gerechtfertigt werden und verstößt gegen die EMRK, die Teil der österreichischen Bundesverfassung ist. Abgesehen von der Diskriminierung in Bezug auf Religion kommt weiters eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes in Frage, weil das Kopftuchverbot ausschließlich auf Frauen abzielt. Zudem handelt es sich hier um intersektionelle Diskriminierung,22Vgl. Holzleithner, Bekleidungsvorschriften und Genderperformance, Gutachten für die Gleichbehandlungsanwaltschaft (2015), 36. weil erst durch die Kumulation von zwei Kategorien (Geschlecht und Religion) eine Schlechterstellung bewirkt wird. Denn weder muslimische Männer noch nicht-muslimische Frauen werden durch das Kopftuchverbot beeinträchtigt. Die darüber hinaus möglicherweise betroffenen männlichen Sikhs nimmt die Regierung anscheinend als Kollateralschaden in Kauf.23NN, Koalition will Kopftuch und Turban an Volksschule verbieten, https://derstandard.at/2000092004189/Koalition-will-Kopftuch-und-Turban-an-Volksschule-verbieten (abgefragt am 07.12.2018).

Auf der Hand liegt, dass das bereits beschlossene Kopftuchverbot in Kindergärten nur der Startschuss für eine weitere Einschränkung der Religionsfreiheit gewisser Gruppen sein soll. Das Kopftuchverbot in der Volksschule lag bei Redaktionsschluss schon als Initiativantrag24495/A Blg NR 26. GP. von ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten vor. Und egal wie man zu bestimmten Glaubensrichtungen steht: Ein Angriff auf die verfassungsmäßig garantierten Freiheiten einer Gruppe ist ein Angriff auf unser aller Rechte. Es lohnt also, wachsam zu bleiben.

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Entschließungsantrag: Mit einem solchen Antrag will eine Gruppe von Abgeordneten den Nationalrat (oder Bundesrat) dazu bringen, in Form einer Entschließung Wünsche über die Vollziehung auszudrücken oder die Bundesregierung zur Ausformulierung bestimmter Gesetze aufzufordern.25NN, Entschließungen (Resolutionsrecht), Parlament, oD, https://www.parlament.gv.at/PERK/KONTR/POL/2ENTSCHLIESSUNGEN/index.shtml (abgefragt am 16.12.2018).
15a-Vereinbarung: In einer Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VG (auch Bund-Länder-Vereinbarung genannt) können der Bund und die Länder (oder auch mehrere Länder untereinander) vereinbaren, ihre Gesetzgebung und Vollziehung in bestimmten Bereichen zu koordinieren.26Berka, Verfassungsrecht6 (2016) 142f.

Hanna Palmanshofer, Albert Werfring, Levin Wotke

Quellen   [ + ]

1, 2. 858/UEA BlgNR 25. GP 1.
3. 858/UEA BlgNR 25. GP 1
4. Sten Prot 49/NRSITZ 26.GP.
5. Bundesgesetz über das Verbot der Verhüllung des Gesichts in der Öffentlichkeit BGBl I 2017/68.
6. 485/BNR BlgNR 25. GP.
7. EGMR 1.7.2014 (GK), 43835/11, S.A.S./Frankreich; Alvarado-Dupuy, Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz: Zwang zur Entschleierung, juridikum 2017/2, 152 (152).
8. Red., Umfrage: Sehr deutliche Mehrheit für Kopftuchverbot, https://www.profil.at/oesterreich/umfrage-mehrheit-kopftuchverbot-10484615 (Stand 24.11.2018). NB: Methode: Online-Befragung, Zielgruppe: Österreichische Bevölkerung ab 16 Jahren, Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: +/- 4,4 Prozentpunkte, Sample: n=500 Befragte, Feldarbeit: 19. bis 23. November 2018.
9. Sten Prot 49/NRSITZ 26. GP.
10. „Das Verbot des Tragens weltanschaulicher und religiös geprägter Bekleidung bezieht sich lediglich auf Bekleidung, welche das gesamte Haupthaar oder große Teile dessen verhüllt.“ ErläutRV 331 BlgNR 26. GP 4.
11. ErläutRV 331 BlgNR 26. GP 4f.
12. Stellungnahme der Bischofskonferenz (24/SN-79/ME 26. GP) 2.
13. Berka, Verfassungsrecht7 (2018), Rz 1232ff.
14. EGMR 18.03.2011, 30814/06, Lautsi/Italien, 60.
15. ErläutRV 331 BlgNR 26. GP 4; Art 14 Abs 5a B-VG BGBl 1930/1 idF BGBl I 2018/22.
16. EGMR 24.01.2006, 26625/02, Köse ua/Türkei.
17. EGMR 04.03.2009, 27058/05, Dogru/Frankreich.
18. EGMR 04.03.2009, 27058/05, Dogru/Frankreich, 72.
19. VfSlg 19.349/2011, V.2.4.2.
20. § 1 Religionsunterrichtsgesetz, BGBl 1949/190 idF BGBl 2017/138.
21. Vgl. NN, Koalition will Kopftuch und Turban an Volksschule verbieten, https://derstandard.at/2000092004189/Koalition-will-Kopftuch-und-Turban-an-Volksschule-verbieten (abgefragt am 07.12.2018).
22. Vgl. Holzleithner, Bekleidungsvorschriften und Genderperformance, Gutachten für die Gleichbehandlungsanwaltschaft (2015), 36.
23. NN, Koalition will Kopftuch und Turban an Volksschule verbieten, https://derstandard.at/2000092004189/Koalition-will-Kopftuch-und-Turban-an-Volksschule-verbieten (abgefragt am 07.12.2018).
24. 495/A Blg NR 26. GP.
25. NN, Entschließungen (Resolutionsrecht), Parlament, oD, https://www.parlament.gv.at/PERK/KONTR/POL/2ENTSCHLIESSUNGEN/index.shtml (abgefragt am 16.12.2018).
26. Berka, Verfassungsrecht6 (2016) 142f.

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