Erst die Kür, dann das Recht: Die Auswirkungen der Neubestellungen an den VfGH

Zu Beginn des Jahres 2018 stieß die Bestellung zweier neuer Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) in der Öffentlichkeit auf heftige Kritik. Mit der Erreichung der Altersgrenze von 70 Jahren gingen drei VfGH-Richter*innen, darunter der damalige Präsident des VfGH Gerhart Holzinger, in den Ruhestand. Somit erfolgte eine Ausschreibung von drei neu zu besetzenden Stellen. Aus Art 147 Abs 2 B-VG ergibt sich jeweils ein Vorschlagsrecht für Nationalrat, Bundesrat und Regierung.

Die im Zuge der Nationalratswahl 2017 geänderten parteipolitischen Verhältnisse in Nationalrat und Regierung ermöglichten, dass zwei der drei Kandidaten auf einem FPÖ-Ticket in den VfGH einzogen. Dabei fiel die Entscheidung auf den Anwalt Michael Rami und den Linzer Universitätsprofessor Andreas Hauer. Insbesondere die Wahl Hauers gibt Grund zur Diskussion. Der Jurist sorgte in der Vergangenheit unter anderem mit Aussagen über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), den er in einem Vortrag als „mitverantwortlich für die multikriminelle Gesellschaft“1Hauer, Sicherheitsverwaltung und EMRK in: Vogl/Wenda (Hrsg.), Grundrechte – Rechtsschutz – Datenschutz. 8. Rechtsschutztag des BM.I am 5. November 2010 (2012) 67 (73). bezeichnete, für Aufregung. Abseits dieser medial viel zitierten Aussage zeigt sich seine ideologische Ausrichtung an mehreren Stellen seiner juristischen Arbeit und mündet in einer Abkehr von Freiheitsgewährleistungen hin zur verstärkten Schutzfunktion des Staates bei der Grundrechtsprüfung. Die Grundrechte Dritter und daraus abgeleitete staatliche Schutzpflichten verdrängen Verhältnismäßigkeitsabwägungen bei direkt von Eingriffen Betroffenen wie etwa Asylwerber*innen. Bei Hauer liest sich das in etwa so: „Eine Verletzung von Art 8 EMRK wäre etwa unter anderem dann zu bejahen, wenn in jemandes Wohnung eingebrochen wird und sich späterhin herausstellt, dass der einschlägig vorbestrafte Einbrecher entgegen fremdenpolizeilichen Vorschriften nicht ausgeschafft wurde.“2Hauer, Sicherheitsverwaltung und EMRK in: Vogl/Wenda (Hrsg.), Grundrechte – Rechtsschutz – Datenschutz. 8. Rechtsschutztag des BM.I am 5. November 2010 (2012) 67 (80), zitiert nach Hahnenkamp/Rössl, Die Kandidatenkür zum österreichischen Verfassungsgerichtshof. Als Richter*in des Verfassungsgerichtshofs bestimmte politische Einstellungen zu haben, ist natürlich legitim und faktisch unumgänglich. Hauers bedenkliche Auffassung von Grundrechten als überbordende staatliche Schutzpflichten bietet ihm jedoch die Möglichkeit, seine politischen Haltungen bei der Rechtsgüterabwägung Ausdruck zu verleihen. Zudem ist zu fragen, ob das Ansehen des Höchstgerichts nicht gefährdet wird, wenn seine Mitglieder außerhalb ihres Amtes kontroverse und polemische Aussagen tätigen, die ihre Unparteilichkeit als Richter*innen bezweifeln lassen.

Das Verfassungsgerichtshofsgesetz (VfGG) bezieht sich in § 10 Abs 1 lit c unter anderem auf das Verhalten außerhalb des Amtes bei der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens: „wenn sich das Mitglied (Ersatzmitglied) durch sein Verhalten im Amt oder außerhalb des Amtes der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt oder die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit gröblich verletzt hat“. Wann dieser Tatbestand jedoch tatsächlich erfüllt wird, ist nur schwer zu beurteilen, da erst ein einziges Mal in der Geschichte der Zweiten Republik über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens abgestimmt wurde. Betroffen war der ehemalige Präsident des VfGH Ludwig Adamovich, der die Einleitung eines solchen Verfahrens gegen seine Person anregte. Anlass war der Vorwurf des damaligen Landeshauptmanns von Kärnten, Jörg Haider, in Bezug auf eine Befangenheit Adamovichs im VfGH-Erkenntnis zum „Ortstafelstreit“. Da sich der Vorwurf als nicht stichhaltig herausstellte, kam es hier nicht einmal zur Einleitung des Verfahrens. In Ermangelung vorangegangener Fälle für die Auslegung von § 10 VfGG bleibt unklar, wann die Grenze zum „unwürdigen Verhalten“ überschritten wird.

Neben der Bestellung von Hauer gilt insbesondere auch jene des ehemaligen Justizministers Wolfgang Brandstetter (ÖVP-Ticket) als umstritten. Sein beinahe direkter Wechsel von der Regierung (2013-2017) in den VfGH ist problematisch. Auch hier stellt sich die Frage nach einer möglichen Befangenheit, nachdem Brandstetter im Zuge seiner Tätigkeit als Justizminister Verordnungen erlassen und durch Regierungsvorlagen an Gesetzen mitgewirkt hat, die er nun möglicherweise als Verfassungsrichter zu prüfen hat. Dem wirkt die Befangenheitsregel des § 12 Abs 4 VfGG nur teilweise entgegen: Die Bestimmung schließt jene Mitglieder des VfGH von der Beteiligung an diesen Verfahren aus, die nach lit a leg cit „bei Verordnungen im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung oder Kundmachung der Bundesregierung oder der jeweiligen Landesregierung“ oder nach lit b leg cit „bei Gesetzen im Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses der gesetzgebenden Körperschaft, die das Gesetz beschlossen hat, angehört haben“.

Damit wäre Brandstetter nicht befugt, in Prüfungsverfahren von Verordnungen, die während seiner Amtszeit erlassen wurden, mitzuwirken. Das Gesetz berücksichtigt dabei nicht, dass die Regierung und ihre Mitglieder realpolitisch durch Regierungsvorlagen auch enormen Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen. Denn die Befangenheitsregel beim Gesetzesprüfungsverfahren erstreckt sich nicht auf ehemalige Regierungsmitglieder, sondern nur auf Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften Nationalrat und Bundesrat. Es liegt in einem solchen Fall in Brandstetters Hand, sich selbst nach § 12 Abs 2 Z 3 („sonstige wichtige Gründe“) für befangen zu erklären, um einen Interessenkonflikt zu verhindern.

Fragwürdig bleibt daher, warum in Art 147 B-VG nur für die Position von Präsident*in und Vizepräsident*in des VfGH eine gesetzlich geregelte „cooling-off“-Phase festgelegt ist. Art 147 Abs 5 B-VG besagt, dass diese Ämter nicht durch Personen besetzt werden dürfen, die in den letzten fünf Jahren Mitglieder der Bundesregierung, einer Landesregierung, eines allgemeinen Vertretungskörpers (zB Nationalrat, Bundesrat, Landtag) oder Angestellte oder Funktionäre einer politischen Partei waren. Für einfache Mitglieder des VfGH fehlt eine solche Bestimmung, weshalb auch der „fliegende Wechsel“ Brandstetters verfassungsrechtlich zulässig ist. Gerade die Besetzung der Posten von Präsident*in und Vizepräsident*in erfolgt in vielen Fällen durch „Nachrücken“ von Mitgliedern, die schon mehrere Jahre Teil des VfGH waren, wodurch dieser speziellen „cooling-off“-Bestimmung nur wenig Bedeutung zukommt. Diese Abkühlungsphase auf alle Verfassungsrichter*innen auszudehnen, wäre eine geeignete Maßnahme, um das Vertrauen in das Höchstgericht zu stärken und die Gefahr der Befangenheit zumindest zu reduzieren. Die Aufgaben des VfGH sind zu wichtig, als dass sie unter die Räder parteipolitischer Interessen geraten dürfen.

Antonia Heidl und Paul Hahnenkamp

Quellen   [ + ]

1. Hauer, Sicherheitsverwaltung und EMRK in: Vogl/Wenda (Hrsg.), Grundrechte – Rechtsschutz – Datenschutz. 8. Rechtsschutztag des BM.I am 5. November 2010 (2012) 67 (73).
2. Hauer, Sicherheitsverwaltung und EMRK in: Vogl/Wenda (Hrsg.), Grundrechte – Rechtsschutz – Datenschutz. 8. Rechtsschutztag des BM.I am 5. November 2010 (2012) 67 (80), zitiert nach Hahnenkamp/Rössl, Die Kandidatenkür zum österreichischen Verfassungsgerichtshof.

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